Spätzünder - die immer neue Late-Night-Show der Herkuleskeule Dresden

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Politisches Kabarett nach 22 Uhr 30 - das gab es mal in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts und auch noch in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, in Berlin, München, Hamburg. In diesen Zeiten war an Kabarett in Dresden überhaupt nicht zu denken. Heute jedoch, im Oktober 2012, und eben auch nach 22 Uhr 30, ist in Dresden politisches Kabarett angesagt, und dieser Ansage wird in anspruchsvoller Weise Rechnung getragen. Bereits seit drei Jahren sind in einem ehemaligen DDR-Neubau am Sternplatz, inmitten eines nüchternen Wohngebietes in einem Gebäude mit dem zumindest äußerlichen Charme eines Mehrzweckbaus der 50-er Jahre
(unten - Gaststätte, oben - Kultursaal, nebenan - Konsum), bereits seit drei Jahren die Spätzünder am kabarettistischen Werk: das sind Michael Feindler, Erik Lehmann und Philipp Schaller, musikalisch unterstützt von der Band Les Bummms Boys. Zugegeben, der Dresdner weiß, dass am Sternplatz seit fast fünf Jahrzehnten die Herkuleskeule, dass bis heute sehr erfolgreiche Dresdner Kabarett zu Hause ist. Und Kabarettfreunde in ganz Deutschland kennen und schätzen die Herkuleskeule als eines der besten Ensemble-Kabaretts. Aber kennen sie auch den bei der Herkuleskeule angesiedelten Spätzünder? Unter www.spaetzuender-keule.de ist zu lesen, dass es sich dabei um "Die satirische Quartalsabrechnung - aktuell, scharf, selten komisch" handelt, und zwar in der Herkuleskeule Dresden.

Und der Laden ist auch heute wieder voll, beim XI. Spätzünder am 5. Oktober 2012, und das um 22 Uhr 30, und das in Dresden. Ja, und es sind nicht nur junge Leute, die den Kabarettsaal füllen, nein, das Publikum ist gemischt, alle Altersklassen sind vertreten, vom spätpubertären Erstsemester über die singelnde Büro-Angestellte bis zum Rentner. Und alle haben ihre helle Freude an dem Geschehen auf der Bühne. Viele Besucher sind Stammgäste. Deshalb werden auch die spezifischen Vorlieben der einzelnen Künstler stark bejubelt, sei es die echte Schüchternheit von Michael Feindler, der zunehmend stärker ausgeprägte Sarkasmus von Philipp Schaller oder die Wandlungsfähigkeit von Erik Lehmann, dessen kabarettistische Figuren mit ihrer offenbarenden Dummheit verlachens-, mitunter aber auch liebenswert sind.

Begleitet werden die drei Protagonisten von der Band Les Bummms Boys, einer Rock-Band mit teilweise ulkigen, manchmal auch aufrüttelnden Texten. Diese Late-Night-Show ist so turbulent, Fähnchen-schwenk-freundlich, so voller Spontaneität aber auch exakter satirischer Textarbeit, so erfrischend und pfiffig, angriffslustig, bissig, schwarz-humorig, aber nie die Inhalte aus dem Auge verlierend, das es eigentlich schade ist um die viele Vorbereitungsarbeit für nur jeweils zwei Aufführungen einer "Schau am sehr späten Abend", und nur in Dresden.

Auch der XI. Spätzünder kam wieder als bunte Mischung von Liedern, Geschichten, Kabarett-Soli sowie satirischen Spielereien über die Bühne. Ätzend die Erläuterungen von Philipp Schaller über den Humor und die Ehrlichkeit von Frau Merkel, die immer wieder in der Aussage gipfeln: "Ehrlich und sympathisch, das ist Frau Merkel - klingt komisch, ist aber so!" oder seine Bewunderung für den neuen Bundespräsidenten, der für ihn ein "mahneichender Prozessionsspinner aus Rostock" ist.

Bravourös in Idee und Ausführung Erik Lehmann in der Rolle eines mitfühlenden aber auch mitteilsamen Arbeitsamtangestellten, der dem plötzlichen Tod seiner Kollegin, der Kollegin Dingens in Neuss, durchaus Positives abgewinnen kann ("Jetzt im Gefängnis hat der Arbeitslose endlich einen Arbeitsplatz. Jetzt kann er arbeiten.") Entlarvend auch sein schönrechnender Pressesprecher aus dem sächsischen Kultusministerium.

Michael Feindler bedankt sich in einem seiner Lieder bei den Menschen seiner tagtäglichen Umgebung für die neuen Text-Ideen und lässt sich auch an diesem Abend, wie jedes Mal, seinen Zugabe-Vierzeiler nicht verwehren:

"Ob Steinbrück oder Angela entscheidet sich im nächsten Jahr. Der Spiegel weist schon darauf hin "Wer wird nächste Kanzlerin!"

Ein Höhepunkt des späten Abends bilden die mit verteilten Rollen gelesenen Auszüge aus dem Drehbuch "Das Leben der Bettina Wulff". Respektlos und geradezu schwarz-humorig die Zitate von Frau Goebbels aus dem Film "Der Untergang", mit denen die Drehbuch-Lesung endet.

Ja, so wollen sie sein, die Spätzünder aus Dresden: provokant-erhellend, krachend-auffallend, scharfzüngig-treffend und mit einem Schuss Improvisation bei gleichzeitigem Spaß aller Beteiligten - so eben, wie Satire zu sein hat.

Und deshalb möchte ich eine Lanze brechen für "Spätzünder-Abende" auch in anderen Städten, zumindest Mitteldeutschlands. Warum keine Spätzünder in Leipzig und Jena? Was spricht gegen Chemnitz oder Halle? Die dortige Kabarettmisere? Sind es die fehlenden Auftrittsmöglichkeiten? Leipzig beispielsweise hat mit sechs Kabarettspielstätten mehr als zu viel eigene Kabaretts, und dennoch, so etwas wie die "Spätzünder-Keule" fehlt in dieser selbsternannten Kabarett-Hauptstadt.

Also, schreiben wir die Spätzünder über die Feuilletons in die Metropolen Mitteldeutschlands. Auch hier gibt es - noch - ein Publikum für politische Satire nach 22 Uhr 30. Es muss ja nicht gleich Berlin sein. Aber warum die "Late-Night-Show" nicht auch irgendwo im Friedrichshain oder in Neukölln? Die besten Berliner Künstler kamen schon immer aus der vorgeblichen Provinz.

Im Januar diesen Jahren wurden die Spätzünder in Cottbus gefeiert. Dort werden sie bei den Studenten-Kabarett-Tagen 2013 erneut gastieren. Was Cottbus kann, sollte in Leipzig ebenso möglich sein. Der Rezensent würde sich für die jungen und engagierten Künstler, aber auch für das Leipziger Publikum ungemein freuen.

Jürgen Klammer für radio-mensch 6.10.2012

AVANTI DILETTANTI! - Politzirkus vom Feinsten

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"AVANTI DILETTANTI! - Politzirkus vom Feinsten" - das neue Kabarettprogramm der Leipziger Funzel erlebt zur Premiere am 11. November 2011. Gemessen an den fünf in Leipzig fest etablierten Kabaretthäusern, die sich dem politischen Kabarett verschrieben haben, ist die Leipziger Funzel mittlerweile zwei(n)same Spitze. Das klingt doch schon mal ganz gut. Zwei(n)same Spitze bedeutet - die Funzel teilt sich diesen Spitzenplatz mit dem Centralkabarettisten Meigl Hoffmann, der gerade mit seinem letzten Programm sein viel zu häufig vom "sächsischen Touristencabaret" übertünchtes Satire-Talent unter Beweis gestellt hat. Aber das ist ein anderes Glas Bier. "AVANTI DILETTANTI! - Politzirkus vom Feinsten", so der Titel
des neuen Programms der Funzel, präsentiert zwar viel Politisches, aber nahezu keinen Zirkus. "So ein Zirkus" hieß einmal ein Programm der Pfeffermühle. Das war im Jahr 1955 (!) und betrachtet man die Texte und Fotos von diesem Programm, dann wimmelte es damals nur so von Zirkusdirektoren, Zauberern, Jongleuren, Tänzerinnen, Clowns und wilden Tieren.

In der Funzel des Jahres 2011 finden wir diese Figuren lediglich im Entree: Thorsten Wolf gibt den Zirkusdirektor, Katherina Brey den Clown, Sabine Kühne-Londa die Löwenbändigerin, der Pianist Helge Nitzschke den Jongleur und Bernd Herold mutiert dank einer überaus witzigen Perücke samt Röckchen zu einem männlich anmutenden Ballettgirl.

Aber, das war es dann auch schon mit den Zirkusfiguren. Sie hätten dem Programm eine bunte Formenvielfalt geben können. Doch noch nicht einmal im Finale fand das Ensemble zu seinem Zirkus-Ausgangspunkt zurück. Schade, sehr schade, denn damit wurden viele kabarettistische Möglichkeiten verschenkt.

Wenn auch kein Zirkus, so verblieb doch eine Menge Politik in diesem Programm, vor allem in seinem ersten Teil. Da resümiert eine Kinderspychologin (Kühne-Londa) über kriminelle Jugendliche. Und Thorsten Wolf, der Chef selbst, ist sich als Klomann nicht zu schade, die Fäkalien des deutschen Politzirkus höchst persönlich zu entsorgen. Ein einsamer Internet-Rentner (Herold) plaudert in seinem "Fazebuck" über Amazon- und DHL-Logistik vor Stalingrad, über seinen Viagra-determinierten Tagesablauf, hetzt beim Chatten Wessis und Ossis aufeinander und verkündet triumphierend: "Die Mauer in meinem Kopf ist verschwunden, aber der Todesstreifen ist noch da." Da jubelt das Publikum, leider.

Dennoch, die Texte sind witzig, teilweise bissig, sehr lachsam, mitunter ein wenig seicht, weil zu häufig mit Kalauern durchsetzt, manchmal etwas zu vordergründig, weil eben schon oft da gewesen und gelegentlich zähflüssig, weil zu lang - aber insgesamt gutes politisches Kabarett. Wenn sich das Ensemble im Jahr 21 der deutschen Einheit zukünftig die billigen Ossi-Wessi-Witze verkneifen könnte, dann hätte sogar der politisch differenziert denkende Besucher, welcher Provenienz auch immer, noch mehr Freude an diesem Programm.

Leider fallen die Nummern nach der Pause, politkabarettistisch gesehen, etwas ab. Das mehr oder weniger schlichte Lachen dominiert über die politische Schärfe, was der Freude beim Premieren-Publikum keinen Abbruch tut. Eingeleitet wird der zweite Teil durch einen im wahrsten Sinne des Wortes "gedankenfreien" Gesang des Pianisten Helge Nitzschke, dem es sogar gelingt, einen Teil des Publikums zum mitsingen zu bewegen. Bei mir erzeugen solche gewollten Zuschauer-Beteiligungen - man findet sie mittlerweile in vielen Kabaretts - jedes Mal ein flaues Gefühl.

Und ähnlich ergeht es mir, wenn ein Kabarettist sich, mit sich selbst zufrieden, vor seinem Publikum artikuliert, so wie Direktor Wolf am Ende des Programms, als er verkündete: "Ich glaube, es war ein Kabarettabend, der sich für sie und uns gelohnt hat." In diesem Moment musste ich an Mathias Deutschmann denken, der bei seinem Auftritt während der letzten Lachmesse gesagt hat: (Zitat) "Das Ende des Kabarettisten ist, wenn man sich selber lustig findet."

Erwähnt sei noch eine zwar komische aber m. E. nicht mehr der Realität entsprechende Szene über die angeblich dummen kleinen Bahnangestellten. Als Bahnvielfahrer, der auch oft in Richtung Köthen fährt - es ging in dieser Szene um eine Bahnfahrt von Leipzig nach Köthen - stelle ich zunehmend fest, dass die durchaus vorhandenen Probleme unserer Bahn vor allem dem unsäglich großkotzigen Management anzulasten sind, aber nicht dem durchaus bemühten und meist freundlichen Personal an der Publikumsfront.

Diese dümmlich-plumpe Szene vom Kauf einer Fahrkarte passt einfach nicht mehr - obschon das Publikum sie bejubelt. Aber so ist das häufig im Kabarett - Klischees sitzen tief und sind nur schwer auszurotten. Das gilt für Publikum und Autoren gleichermaßen. So gab es auch an diesem Abend einen "Westerwelle von hinten" und auch einen "Vietnam-Rösler", den uns die Amis eingebrockt haben, denn (Zitat): "...ohne deren Vietnamkrieg hätten wir den doch nicht an der Backe." Gepaart mit dem frenetischen Beifall schimmert für mich bei derartigen Passagen - wenn auch sicher ungewollt - ein wenig Fidshi-Rassismus durch den Raum. Für seine Herkunft und für sein Aussehen kann er nichts, der Wirtschaftsminister, an seiner Politik soll er gemessen werden. Diese Art der Auseinandersetzung mit Herrn Rösler kommt in dem Programm leider zu kurz.

Gleiches gilt für die als Zugabe dargebrachte Rede eines überaus blöden und stink-besoffenen Politikers. Und wieder war das Publikum begeistert, während mir der ebenfalls im Saal sitzende sächsische Landtagsabgeordnete W. in diesem Moment richtiggehend leid tat. So einfach ist das nicht mit der Politik unserer Politiker. Da machen es sich die Autoren zu leicht.

Apropos Autoren - der Programmzettel weist insgesamt elf Namen aus. Sie kommen aus fast aller Herren Bundesländer, einer sogar aus Leipzig. Aber, das ist genau der Knackpunkt. Aus dem Ensemble selbst kommt kein einziger Text, alle Darsteller sind leider nur Kabarett-Schauspieler. Sie verstehen durchaus ihr Handwerk. Es macht Spaß, ihrer Spielfreude zu folgen, und gerade deshalb finde ich es schade, dass die Leipziger Funzel sich textlich nahezu ausschließlich auf Autoren außerhalb Leipzigs verlässt und damit freiwillig darauf verzichtet, eigenes inhaltliches Profil zu entwickeln und zu demonstrieren. Zumal die aufgeführten Autoren auch für viele andere Kabaretts schreiben und damit stilistische wie inhaltliche Wiederholungen geradezu herausfordert werden.

Die Zuordnung der Autoren zu den einzelnen Texten ist nicht ersichtlich - ein Mangel im Programmheft. Aber wen interessieren denn heute noch die hinter einem Kabarettprogramm agierenden Autoren?

Regie führte - wie schon seit mehreren Jahren - der aus Berlin stammende Peter Tepper. Diese Zusammenarbeit ist dem Kabarett durchaus gut bekommen und sollte auf jeden Fall fortgesetzt werden.

Ist das neue Programm der Leipziger Funzel auch nicht so reich mit guten Texten gespickt wie das best of "Glotze total" - es ist ja auch kein best of - so hat sich der Besuch der Premiere durchaus gelohnt. Auch dieses Programm ist den Einheimischen, den Zugereisten und den Touristen gleichermaßen zu empfehlen.

Jürgen Klammer für radio mensch 11.11.2011

Erik Lehmann

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Er hätte mich lachen gehört, meinte Erik Lehmann im Gespräch nach seinem Auftritt im Leipziger Central Kabarett des Meigl Hoffmann. Eine kleine Runde hatte sich nach der Vorstellung am vergangenen Freitag mit dem Kabarettisten zusammengefunden, um fast privat und im lockeren Gespräch das gerade Gesehene und Gehörte zu resümieren. Sie alle haben sich an seinem Spiel erfreut, ja, sie haben, wie das restliche Dutzend Zuschauer, herzhaft gelacht. Auch ich habe herzhaft gelacht. Mittlerweile lache ich nur noch selten im Kabarett. Ich gehe öfter ins Kabarett. Dort kann ich meist beobachten, dass viele der Zuschauer sich ausschütten vor Lachen, und zwar
an Stellen, an denen ich - kabarettistisch gesehen - überhaupt nicht lachen kann. Das bringt mich gelegentlich ins Grübeln. Beim Auftritt von Erik Lehmann habe ich freimütig gelacht. Der Kabarettist hatte mein Lachen während der Vorstellung bei der geringen Zuschauerzahl unschwer identifiziert. Er kannte mein Lachen, so wie auch ich einen großen Teil seiner an diesem Abend dargebotenen Texte bereits kannte. Ich meine, wenn mir ein Kabarettist ein herzhaftes Lachen entlockt, dann ist er ein guter Kabarettist. Herzhaft lache ich beispielsweise bei Josef Hader, oder bei Matthias Deutschmann, natürlich ebenso bei Georg Schramm, auch wenn es bei Letzterem ein Lachen mit viel Bitterkeit, ein schwarzhumoriges oder ein galliges Lachen ist. Mein Lachen bei Erik Lehmann ähnelt dem Lachen bei Georg Schramm.

Was Erik Lehmann, dieser - kabarettistisch gesehen - noch sehr junge Mann mit seinen knapp dreißig Lebensjahren an Lebenswissen auf der Bühne präsentiert ist beachtlich. Fast scheint es mir, wirkt er noch zu jung für einige seiner Figuren und deren Textaussagen. Sei es als Fallmanager vom Arbeitsamt Neuss, der über den tragischen und realen Tod seiner Kollegin "Frau Dingens" nachgrübelt und sich in seiner negativen Einstellung den Arbeitslosen gegenüber bestätigt findet. Ein guter Text, einer realen Situation in Neuss und beinahe in Leipzig entlehnt, kabarettistisch überhöht, trefflich und entlarvend formuliert und auch nach mehrmaligem Hören nicht langweilig. Ebenso steht die Jungenhaftigkeit des Kabarettisten ein wenig im Widerspruch zu seiner Figur als Referent über das Bienensterben. In schwarzhumorigen Vergleichen zum Bienensterben, von ihm als "Bienenaids" apostrophiert, bedauert er gleichzeitig die Verminderung des akademischen Mittelstands in Deutschland. Wunderschön auch seine Gleichsetzung der von der deutschen Öffentlichkeit unbeachtet dahinvegetierenden Kellerasseln, Schmeißfliegen und Silberfische mit den in den Medien ebenfalls unterrepräsentierten Langzeitarbeitslosen. Das ist schon alles sehr genau beobachtet, recherchiert, zugespitzt formuliert und pointiert präsentiert.

Nach den ersten Programmnummern wird mit Hilfe eines Glücksrads geschickt ein künstlicher dramaturgischer Faden erzeugt. Der Kabarettist bezieht sein Publikum in den weiteren Ablauf ein. Es darf am Glücksrad drehend die nächste Nummer auswählen. Der verschmitzte Lehmann hat jedoch seinen Abend insoweit im Griff, dass er bei einer für ihn unpassenden Drehung dann dennoch unbeirrt die von ihm favorisierten Nummern spielt, auch wenn das Glücksrad ihn auf eine anderen Text festlegen wollte. All diese Verdrehungen werden sympathisch, bestimmt und überzeugend dargeboten. Sie sind Ausdruck seiner mittlerweile ausgeprägten Bühnenerfahrung, die jedoch nie in Routine abgleitet. Im Gegenteil, bei sich aus dem gekonnten Spiel mit dem Publikum ergebenden Extempores ist dem Kabarettisten%C2%A0 die Freude am eigenen Spiel durchaus anzumerken. Der Abend wird dadurch zusätzlich aufgelockert.

Es ist müßig, an dieser Stelle auf all die in diesem mittlerweile sechsten Soloprogramm "Der letzte Lemming" auftretenden Figuren einzugehen. Da gibt es den enttäuschten Aldi-Schnäppchenjäger, den mit Wollust ungenügende Zensuren verteilenden Astronomielehrer, den sich der Schuldnerberatung hilflos ausliefernden Arbeitslosen wie auch den südsächsischen Kleingärtner Uwe, der sich an Herrn Omkaluobbo, seinem Gartennachbarn afrikanischen Ursprungs, abarbeitet. Alles sehr hörens- und sehenswert. Schwächer, auch weil zu lang, dagegen der Text mit dem Putin-Sympathisanten. Überhaupt, der Kabarettist agiert auf der Bühne fast zweimal sechzig Minuten. Und auch wenn es sehr kurzweilig, mit vielfältigen Themen einschließlich überraschender Pointen daherkommt - das Programm ist zu lang, schon deshalb, weil es so lang gar nicht sein müsste. Aber dieser mittlerweile weitverbreiteten Unsitte im gegenwärtigen Kabarett ist auch Erik Lehmann erlegen. Sicher liegt es daran, dass er uns, seinem Publikum, so unendlich viel mitzuteilen hat über seine Sicht auf die Welt. Das künstlerische Engagement des noch jungen Kabarettisten, der sich ganz bewusst nicht dem auf leichte Unterhaltung setzenden und materiell einträglichen Comedy-Commerz hingibt, sondern seiner Linie als politisch-satirischer Kabarettist treu bleibt, ist offensichtlich. Er hat als Autor und Darsteller noch viel vor sich, wenn er auch schon sehr weit gekommen ist. Insbesondere in Dresden, wo er neben seinen Soloprogrammen parallel im Ensemble der Herkuleskeule auftritt, ist er überaus beliebt. Aber auch das Leipziger Publikum sollte sich für den talentierten Kabarettisten zukünftig mehr erwärmen, in dem es ihm die erforderliche Aufmerksamkeit schenkt. Gelegenheit dazu%C2%A0 ist bereits am 6. Dezember gegeben, ebenfalls wieder im Leipziger Central Kabarett. Freunden des anspruchsvollen Kabaretts sei dieser Abend empfohlen.

Ach, um noch einmal auf die eingangs erwähnten Kabarettgrößen Hader, Deutschmann und Schramm zu sprechen zu kommen: Es ist anzunehmen, dass sie in fünfundzwanzig oder dreißig Jahren nicht mehr auf der Bühne anzutreffen sein werden. Erik Lehmann dagegen, heute noch nicht einmal dreißig Jahre alt, wird dann hoffentlich in ihren Fußstapfen angekommen sein. Auch gutes politisch-satirisches Kabarett geht zum Glück irgendwie immer weiter.

Jürgen Klammer für radio-mensch 8.11.2013

Hader spielt Hader ein Kabarettabend mit Josef Hader in der Schaubühne Lindenfels in Leipzig-Plagwitz

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Josef Hader, der Niederösterreicher, zu Gast im westsächsischen Leipzig, in der Schaubühne Lindenfels, wo sonst? In Leipzig, der selbsternannten Hauptstadt des deutschen Kabaretts, passt dieser Ausnahme-Kabarettist in keines der etablierten Häuser, nein, in Leipzig ist Josef Hader nur vorstellbar in der Schaubühne Lindenfels, in dem Haus des maroden Charmes im lebhaft-alternativen, jungen Stadtteil Plagwitz. Und dort hatte der Mann aus Österreich ein überaus dankbares Publikum gemischten Alters. Auf mehr als unbequemen Klappstühlen folgte es überaus gespannt dem neuesten %E2%80%9ABest of Hader%E2%80%99, einem Hader, der, wie fast immer, Hader spielt. Zu erleben war in dem überfüllten Saal 130 Minuten großartigstes Kabarett.

Warum
eigentlich wird in der Schaubühne Lindenfels so selten Kabarett geboten? Dieses Haus bietet sich geradezu an für die zehnte Muse, vorausgesetzt natürlich, dass die Vertreter der Unterhaltungskunst den Schwerpunkt auf Kunst und weniger auf Unterhaltung legen. Diese UnterhaltungsKUNST jedoch liegt nicht auf der Straße, ist fast nicht in den Medien präsent, findet sich nur in Nischen, wie beispielsweise die Volker-Kühn-Abende in der Akademie der Künste in Berlin oder mit etwas Glück in der mitunter noch unverbrauchten Off-Szene Ostdeutschlands. Das Publikum für hochkarätiges Kabarett - das hat "Hader spielt Hader" am vergangenen Freitag bewiesen - ist auch in Leipzig vorhanden, noch vorhanden, und zwar trotz des Überangebots an Kabaretthäusern in der Innenstadt, die sich leider in zunehmendem Maße dem Geschmack der Touristen hin- und ergeben.

Seit 1982 ist Josef Hader mit Soloprogrammen unterwegs. Er ist einer der Wenigen, die es sich leisten können, ihre Programme mehrere Jahre lang zu spielen, meist vor ausverkauften Häusern. Fast sechs Jahre war der schwarzhumorige Österreicher mit seinem vorletzten Programm "Hader muss weg", wo er grandiose Figuren auf die Bühne zauberte, unterwegs. Diesmal also ein "best of" aus den letzten fünf Programmen. Und kam auch die eine oder andere Szene dem langjährigen Hader-Fan irgendwie bekannt vor - es wirkte alles, wie immer, neu, improvisiert, zufällig eingefallen, spontan und mit wechselnden Tempi erzählt, immer spannungsgeladen, auch bei den leisen Tönen, mit und ohne Musik, wie beispielsweise bei dem Lied von den Leuten aus dem Wiener Stadtbezirk Ottakring. Es ist müßig, die vielen Höhepunkte des Programms aufzuführen, der Rezensent müsste seitenlang zitieren. Erwähnt sei bruchstückhaft Haders Paktieren mit dem Teufel, den er brillant beim Steinscheißer-Karl-Spiel besiegt. Köstlich sein hippiger Jesus vor dem Abendmahl, sein wortkarger Sokrates gleich zu Beginn, sein saufender Dean Martin als Cowboy und der alte Indianerhäuptling im Rollstuhl mit den eigenhändig von Old Shatterhand zielsicher durchschossenen Knien.

Und Politikernamen, womit uns die vielen deutschen Billig-Kabarettisten mehr als langweilen, tauchen bei Josef Hader nahezu nicht auf. Nur einen, Hans-Christian Strache, den Vorsitzenden der FPÖ, den haut er in die Pfanne und schmort ihn genüsslich in seinem eigenen Saft. Großartig. Ach ja, erwähnt werden muss unbedingt auch der Dialog Haders, gleich nach der Pause, mit seinem Beleuchter, einem wortkargen Burgenländer mit kroatischen Wurzeln. Wie schon im Programm %E2%80%9AHader muss weg%E2%80%99 lässt auch dieser skurrile Wortwechsel den Zuschauer permanent zweifeln, ob dieses Zwischenspiel denn überhaupt zum Programm gehört. Diese perfekt gespielte Zufälligkeit, diese ungewisse Mischung aus Improvisation und äußerst präziser Schauspielerei, das macht den Hader nicht nur an diesem vorweihnachtlichen Leipziger Abend, das macht den Josef am Vor-Heiligen-Freitag-Abend in Plagwitz, ganz ohne Maria und Jesus, das macht den Josef Hader auch diesmal zum Unterhaltungs-Kunstwerk.

Jürgen Klammer für radio-mensch

Matthias Deutschmann "Deutsche wollt ihr ewig leben?"

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Er fühlt sich offensichtlich wohl in Leipzig, im protestantischen Osten, der 53 jährige Kabarettist Matthias Deutschmann aus dem grün-katholischen Freiburg im Breisgau. Schon im Jahr 1983, so gestand er dem Publikum, widerstand er in Erfurt dem anti-imperialistischen Charme eines Stasi-Offiziers. Der hatte ihn damals aufgefordert, sich in den gemeinsamen Friedenskampf einzureihen. Und auch im schicksalsträchtigen Jahr 1989 sei er als Kabarettist in Leipzig gewesen. "Da haben sie noch am Runden Tisch gesessen", ruft er ins Publikum und schon hat er es. Und als er sich dann über den Papst mokiert, dem bei seinem 50-Millionen-Euro-Besuch nicht ein einziges Mal der Name
"Luther" über die Lippen gekommen ist, nicht im atheistischen Berlin und schon gar nicht im protestantischen Erfurt, da geht das Publikum begeistert mit. Matthias Deutschmann fühlt sich wohl auf dieser Bühne. Da hätte es seiner etwas glitschigen Ausflüge in die Welt der Charlotte Rouche gar nicht bedurft. Es ist schwer zu sagen, wie viel Koketterie in seinem Gesicht stand, als er, der Belesene, versichert, in dem neuen Buch der Rouche zwar geblättert, es aber nicht gelesen zu haben. Vielleicht braucht er die Fantasien und Erlebnisse der enthemmten Erfolgsautorin auch nur, um seinem Programm einen, wenn auch etwas fäkalistischen roten Faden zu geben, denn insbesondere im ersten Teil des Programms zieht sich das Wort "Scheiße" schon ein wenig oft durch die angesprochenen Themenbereiche. Nach Frau Roche kommt der bereits erwähnte Papst ins Visier, im folgt der Freiherr von und zu Guttenberg, dem er den herrlichen Satz abgewinnt (Zitat) "Ich muss lügen, weil ich Vorbildfunktion habe." Deutschmann erzählt uns von dem fast schon wieder vergessenen Christoph Schlingensief. Dessen Verewigung auf dem Bayreuther Grünen Hügel nimmt er zum Anlass, uns auf seinem Cello einen überaus langsamen und tieftonigen Wagner vorzuspielen, einen (Zitat) "tiefer gelegten Wotan". Ja, dieses Cello ist es, das Matthias Deutschmann meisterhaft benutzt, um die im Kabarett so wichtigen Tempi zu variieren. Er beschleunigt, er verlangsamt, er verinnerlicht mit einem tiefen "Om", und spielt dann mit fast geschlossenen Augen die ineinander verschlungenen deutschen Nationalhymnen. Er spielt die Europa-Hymne vorwärts, er spielt sie rückwärts, und im Rückwärtsgang klingt es wie "Auferstanden aus Ruinen". Die Leipziger nehmen es wohlwollend zur Kenntnis.

Es folgt ein Exkurs in die von wechselnden Erkenntnissen geprägte Vita seines grünen Landesvaters Winfried Kretschmann. Wir werden erinnert an die Höhen und vor allem Tiefen der vielen Zitate von Heiner Geißler, mittlerweile einer Art Guru, der (Zitat) "von innen leuchtet". Gysis linker IQ wird ebenso extrapoliert wie Lafontaines Sendungsbewusstsein und der alte Fidel Castro wird von ihm auf den alten Witz vom Geigenkasten reduziert. Und dann, urplötzlich, kommt auf einmal der private Deutschmann zum Vorschein, wenn er Sätze sagt wie (Zitat) "Das Ende des Kabarettisten ist, wenn man sich selber lustig findet." Und fast privat sind auch seine Überlegungen über mögliche Grabinschriften. Gefallen könnte ihm, so sagt er fast beiläufig, der Satz (Zitat) "Wer die Wahrheit sagen will, soll sein Pferd gesattelt haben." Ja, er plaudert warmherzig und intelligent, der Matthias Deutschmann. Man hört ihm gerne zu, freut sich an seinen überraschenden Einfällen, freut sich mit ihm, wie er seine Pointen setzt, auch wenn sie, versteckt unter geschliffenem Geist, mitunter in rudimentärem Lachen zu zerrinnen scheinen.

Umso mehr freut man sich dann jedoch, wie der erfahrene Kabarettist darauf reagiert. Und einvernehmliche Freude herrscht im Saal, wenn er kokettierend feststellt, dass Deutschland Ost doch noch anders lacht als seine stockkatholische Heimat, und zwar protestantischer Brillant auch, wie Deutschmann - der glücklicherweise fast nicht parodiert - den in sich versunkenen und selbstherrlich vor sich hin qualmenden Helmut Schmidt weise Antworten auf simple Maischberger-Fragen geben lässt. Sein Handwerk versteht der seit dreißig Jahren mit der politischen Brettl-Bühne verheiratete Pfälzer.

Und doch ist einschränkend anzumerken, dass mir in diesem Programm ein durchgängiger dramaturgischer Faden fehlt, der zur künstlerischen Abrundung eines Kabarettabends nötig ist. So bleibt die wunderschöne Plauderei mit intelligentem Witz, versteckter Ironie, mit liebevoll erzählten biografischen Details und dem fortwährenden Fragen, was und wem er, was und wem wir denn heute noch glauben könne, ein wenig rudimentär, zusammen gehalten lediglich durch das bereits zitierte Wörtchen "Scheiße". Da bleibt Matthias Deutschmann unter seinen Möglichkeiten. Schade eigentlich, denn er kommt auch an diesem Abend wieder so sympathisch über die Bühne und er bespielt uns mit seinem Cello so übermütig, aufregend und gekonnt, dass wir leichtfüßig nach Hause laufen und uns wünschen, dass diesem Deutschmann noch viele deutsche Zuhörer, auch Nicht-Deutschstämmige, gegeben sind.

Jürgen Klammer für radio-mensch
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