Dem Motto der diesjährigen Leipziger Jazztage ist zu entnehmen, dass sie sich thematisch mit zwei bedeutenden Musikern aus der Jazz- und Rockmusik, deren geplante Zusammenarbeit der Tod leider durchkreuzte, auseinandersetzen wollen. Die Rede ist zum zum einen von Gil Evans, dem genialen Arrangeur und Bandleader aus Kanada, dessen 100. Geburtstag in dieses Jahr fällt. Ein anderes rundes Jubiläum, nämlich der 70. Geburtstag steht für Jimi Hendrix 2012 an. Letzterer war es Ende der 1960er Jahre müde, für ein teilweise ignorantes Publikum weiterhin den rasenden Roland zu spielen, der auf der Bühne Gitarren atomisierte oder abfackelte. Seine Intention bestand darin, gemeinsam
mit Gil Evans´ Big Band ins Studio zu gehen, was auch auf dessen Interesse stieß. Neben eigenen Produktionen machte Evans als Arrangeur in den 1950er Jahren für den aufstrebenden Miles Davis von sich reden. Das Ergebnis dieser Kollaboration waren unter anderem die epochalen Alben "Sketches Of Spain" sowie "Porgy And Bess", Höhepunkte und teilweise Abgesang des Cool Jazz. Obwohl Jimi Hendrix nun nicht mehr zur Verfügung stand, war der dem Neuen immer aufgeschlossene Gil Evans entschlossen, sich musikalisch mit Hendrix´ Kompositionen zu beschäftigen. Das setzte er zuerst bei Live-Auftritten (das Konzert 1976 bei der Warschauer Jazz Jamboree bleibt dem Rezensenten unvergessen) um. Schließlich nahm er seine Herde und produzierte mit einigen Gästen das Album ""The Gil Evans Orchestra Plays The Music Of Jimi Hendrix", ein bis heute hörenswertes Werk, das im Laufe der Zeit keine Patina angesetzt hat und durch seine Frische und seinen Ideenreichtum glänzt. Die stilistische Bandbreite, die zu den 36. Leipziger Jazztagen angeboten wird, lässt auf Bewährtes und auch einige Überraschungen zwischen diesen beiden Polen hoffen.
%D0%80.09.2012 - Horns Erben: Evgeny Ring Quartett, Stian Westerhus
Der aus Rostow am Don stammende Saxophonist Evgeny Ring hat sich in der letzten Zeit einen guten Ruf und eine konstante Fangemeinde erspielt. Dem entsprechend groß ist das Gedränge im Bühnenraum von Horns Erben, einem Club in der Leipziger Südvorstadt. "Keine Balladen" heißt die Ansage, und so beginnen Evgeny Ring und seine drei Begleiter mit dem für sie charakteristischen dynamischen Stil, der vor allem auf eine funktionierende Kommunikation zwischen den Musikern aufbaut. In der Rockszene kursiert seit einiger Zeit der Begriff "Retro Rock". Dieser ist keineswegs abwertend gemeint und beinhaltet, dass Bands sich an "Klassikern" der Rockgeschichte orientieren und unter Benutzung diverser Stilelemente ihre eigene Sprache entwickeln. Vielleicht könnte man die Musik des Evgeny Ring Quartetts daran angelehnt mit "Retro Jazz" bezeichnen. Die Bezugspunkte liegen hauptsächlich im modernen Jazz der 1950er bis 1970er Jahre. Das junge Quartett nimmt den Staffelstab auf und liefert eine überzeugende Performance ab.
Auch ein Jazzfestival bleibt von den kleinen Pannen des Lebens nicht verschont. Schon für den Tag zuvor war der Auftritt des norwegischen Gitarristen Stian Westerhus in der Galerie KUB geplant. Nun war der Musiker zwar eingetroffen, allerdings ohne Instrumente und Equipment. Beides war am Montag in Leipzig eingetroffen, so dass Stian Westerhus als zweiter Act des Abends sein Konzert nachholen kann. Norwegen ist ein Land mit einer sehr lebendigen und eigenständigen Musikkultur. Selbst hier stellt Stian Westerhus einen Solitär dar. Er lotet auf seiner Gitarre die Welt der Geräusche bis in tiefste Tiefen aus. Dazu bedient er sich zahlreicher elektronischer Effektgeräte und experimentiert auch mit Rückkopplungen. Es bedarf höchster Konzentration, seinem Konzept zu folgen. Auf dissonante Passagen folgen relaxte Momente, die Westerhus mit dem Bogen seinem Instrument entlockt. Leider hält sich die Dauer seines Konzerts in Grenzen, nach knapp 45 Minuten verlässt er die Bühne.
%D0%81.09.2012 - Moritzbastei: Pink Freud
Anders, als der Name der Band aus dem polnischen Krak%C3%B3w vermuten lässt, bewegen sich die Bezüge ihrer Musik zu den legendären Pink Floyd auf einem minimalen Nenner. Mit einer recht ungewöhnlichen Besetzung (Baritonsaxophon/Flöte, Trompete, Drums, Bassgitarre) starten sie mit eher konventioneller Fusionsmusik in ihr Konzert. In der Mitte des zweiten Titels liefert Wojtek Mazolewski mit seinem plötzlich aufbrüllenden Bass die Initialzündung zu einer fesselnden Kombination von Jazz und Artrock. Es ist zu bemerken, dass sich Pink Freud in den Sphären von Van Der Graaf Generator und King Crimson bestens auskennen. Wie letztere entwickeln sie spannende Steigerungslinien, die in eruptive Ausbrüche münden. Mit ihrer Präzision und Spielfreude sind sie eine wertvolle Bereicherung dieses Festivals.
%D0%82.09.2012 - UT Connwitz: Arve Henriksen Quartett
Der norwegische Trompeter und Keyboarder Arve Henriksen stellt die neue Besetzung seines Quartetts in der stimmungsvollen Ambiente des ehemaligen Kinos UT Connewitz vor. Ihrem bislang dritten Auftritt ist anzumerken, dass das Ziel der Reise noch nicht genau fixiert ist. Der Auftakt besteht aus einem langen, meditativ angelegten Stück. Danach folgt experimentelle Musik. Stilistisch beziehen sie in ihre perkussiv intensive Spielweise Elemente verschiedener Musikkulturen und der nordischen Tradition ein.
%D0%83.09.2012 - Oper Leipzig: WDR Big Band feat. John Taylor, Diana Torto &; Lee Konitz, Sophie Hunger
Herzstück der Leipziger Jazztage sind traditionell die Konzerte in der Oper. Zum Auftakt steigt die WDR Big Band, verstärkt durch den englischen Pianisten John Taylor, die italienische Sängerin Diana Torto und den amerikanischen Altsaxophonisten Lee Konitz in den Ring. Die in der Nachkriegszeit gegründete Big Band ist seit Jahrzehnten ein Garant für Qualität auf höchstem Niveau, Aufnahmen mit vielen Jazzgrößen können das belegen. Das Programm besteht vorerst aus Kompositionen von John Taylor, der aus der englischen Free Jazz- Szene stammt und mit dem Ensemble Azimuth bekannt wurde. Anfang der 1980er Jahre Mitglied vom Gil Evans Orchestra sind seine Stücke dem Geist von Gil Evans verwandt und werden von ihm und der WDR Big Band kongenial umgesetzt. Zusätzlichen Glanz wird allem noch durch die Stimme Diana Tortos verliehen. Die aus den Abruzzen stammende Sängerin, deren Timbre gewisse Ähnlichkeiten mit Flora Purim aufweist, steuert auch noch eigene Kompositionen bei.
Zu guter Letzt betritt noch der Jazz-Globetrotter Lee Konitz die Bühne und begeistert mit seinem Altsaxophon das Publikum. Der Abend, übrigens vom WDR live übertragen, nimmt seinen Fortlauf mit der jungen Schweizerin Sophie Hunger und ihrer Band. Stilistisch ungemein vielfältig, verbindet sie Pop- und Jazzelemente auf eine sehr persönliche Art und Weise und spielt sich in kürzester Zeit in die Herzen der Zuhörer. Sie selbst begleitet ihren ausdrucksvollen Gesang auf Gitarre und Piano. Auch ihre Bandmitglieder tragen überzeugend zum Erfolg des Auftritts bei, besonders zu erwähnen wäre hier Michael Flury, der Posaune und Glockenspiel betätigt. Erst nach stehenden Ovationen und drei Zugaben werden nach einer A Capella- Darbietung die jungen Musiker entlassen.
%D0%84.09.2012 - Oper Leipzig: Verneri Pohjola Quintet, Leszek Modzer &; Zohar Fresco, Nguyen Le
Opener des zweiten Abends in der Oper ist der finnische Trompeter Verneri Pohjola mit seinem Quintett. Dessen Mitglied ist auch Pohjolas Mentor, der Altsaxophonist Jukka Perko. Auch hier sind Bezüge zu Gil Evans hörbar, die Band liefert einen sehr konzentrierten Set ab. Lezdzek Mozdzer gehört zur ersten Garde der polnischen Jazzer und hat im Verlauf seiner Karriere mehrere Metamorphosen durchlaufen. Er tritt im Duo mit dem israelischen Perkussionisten Zohar Fresco auf. Mozdzers aktuelles Projekt beschäftigt sich mit Kompositionen des leider sehr früh verstorbenen Krzysztof Komeda, der in Polen seit Jahrzehnten einen gewissen Kultstatus besitzt und auch als Filmkomponist ("Messer im Wasser" von Roman Polanski) aktiv war. Wie bei einem polnischen Pianisten zu erwarten, ist der Einfluss von Frederic Chopin nicht überhörbar. Das Duo ergänzt sich vortrefflich und entführt das Publikum für die Dauer seines Auftritts in eine romantische Welt.
Tief in der Weltmusik verwurzelt ist der vietnamesisch-französische Gitarrist Nguyen Le. Da aus seiner Sicht dazu auch das musikalische Erbe von Jimi Hendrix zählt, entschloss er sich, diesem ein Projekt zu widmen. Komplettiert wird das Programm mit Rocktiteln von Janis Joplin ("Move Over") , Stevie Wonder ("Past Time Paradise") und Led Zeppelin ("Whole Lotta Love") aus den 1970er Jahren. Ihm zur Seite stehen die ehemalige Magma-Sängerin Himiko Paganotti, der exzellente Vibraphonist Illya Amar und eine funky groovende Rhythmussektion. Das Ergebnis ist eine einzigartige Sichtweise auf diese Musik, schwebende Klänge verbinden sich mit feurigen Rhythmusgewittern.
%D0%85.09.2012 - Oper Leipzig: VEIN feat. Dave Liebman, Jan Vogler, Thärichen´s Hendrixperience Orchestra feat. Annamateur
VEIN, ein Trio um die Brüder Arbenz aus der Schweiz, begleitet das Saxophon-Urgestein Dave Liebman aus New York. Ihr Programm besteht vorwiegend aus Stücken des Great American Songbook. Das ist alles perfekt, geht aber über weite Strecken nicht sonderlich unter die Haut. Der Funken springt erst bei Gershwin´s "I Love You, Porgy", einer im Duett von Sax und Piano vorgetragenen Ballade, über. Die Zugabe zeigt Dave Liebman dann in der erwarteten Form.
Herzstück der Performance des Cellisten Jan Vogler ist Jimi Hendrix´ "Machine Gun", vorgetragen auf seinem Cello von Stradivari. Doch zuerst kommen unter anderem Stücke von Bach und Steve Reich zu Gehör. Die Übersetzung von Titeln aus der Rockmusik ist mittlerweile eine recht häufig geübte Praxis. Das mag bei Songs von Paul McCartney oder anderen Protagonisten funktionieren, Hendrix´ Musik scheint dafür aber nicht das geeignete Material zu sein. Die Komplexität des sich auf den Vietnamkrieg beziehenden Songs kann trotz der Background-Einspielung nicht übertragen werden, darüber hinaus werden Abstriche an der ursprünglichen Länge gemacht.
Der Pianist und Arrangeur Nicolai Thärichen erhielt den Auftrag, Musik von Jimi Hendrix in seinem Kontext zu arrangieren und aufzuführen. Bezüglich Auswahl von Personal und Setlist hatte er alle Freiheiten. In Zusammenarbeit mit der Dresdner Sängerin Annamateur beschloss er, sich diesem Universum von der textlichen Seite her zu nähern. Eine interessante Herangehensweise, die beim Publikum auf positive Resonanz stieß. Hierzu trug auch die beachtliche Stimme von Annamateur einen großen Teil bei.
%D0%85.09.2012 - naTo: RRichie Beirach und Dave Liebman, Magic Friends
In der naTo finden traditionell nach den Konzerten in der Oper noch Sessions statt. Das Wiedersehen von Richie Beirach und Dave Liebman, die in New York eine längere Zeit miteinander spielten, verspricht ein echtes Highlight zu werden. Für etliche Fans aber endet dieser Abend mit einer Enttäuschung, da die naTo hoffnungslos überfüllt und zudem noch bestuhlt ist. Die naTo ist ein sympathischer Club, aber bei dem zu erwartenden Andrang überfordert. Vielleicht wäre für diesen Act ein anderer Veranstaltungsort angemessener gewesen.
%D0%86.09.2012 - Schaubühne Lindenfels: Pablo Held "Glow"
Am frühen Sonntagabend klingen die 36. Leipziger Jazztage langsam mit einem Konzert von Pablo Held und seinem Projekt "Glow" aus. Der Pianist vereint darin Musiker aus Köln und Berlin. Die von Klangmalereien geprägte und gekonnt interpretierte Musik wird von den zahlreich erschienenen Zuhörern wohlwollend aufgenommen und bildet einen gelungenen Abschluss des diesjährigen Festivals.