euro-scene: Compagnie Plumes dans la tete" (Trevisio) mit zwei Performances

Die beiden Stücke sind der zweite und dritte Teil einer Trilogie der Künstlerin Silvia Costa, die in diesem Jahr die Carte blanche erhielt und vom italienische Regisseur Romeo Castellucci eingeladen wurde. "Stato di grazia" ("Stand der Gnade") An eine Säule gelehnt ein androgyner Typ im hellen Anzug, erstarrt und mit steifen Händen bewegt sich nur der Mund und erzählt in italienischer Sprache (die Übersetzung auf einer Videowand im Hintergrund) die Geschichte seiner sexuellen Entwicklung, erzählt eine Fallstudie des Psychiaters Krafft-Ebing aus seinem Werk "Psychopathia sexualis"(1886). Tiefe Verstörung und endlose Schuldgefühle suchen nach Erlösung. Ein Herbststurm zu raumfüllender Orgelmusik fegt alle
Blätter weg, ändert aber nichts. Unendliche Stille und etwas Ratlosigkeit am Ende im Zuschauerraum, als ein Scheiterhaufen aufgebaut wird, die leidende Person leidenschaftslos an die Holzscheite gelehnt wird, die Flamme immer Kleiner wird bis zum völligen Erlöschen.

"La fine ha dimenticato il principio" ("Das Ende vergaß seinen Anfang") Eine blökende Schafherde dringt aus den Lautsprecherboxen, die Sitzplätze der Zuschauer gesperrt, man wird gebeten, sich um und auf die weiße Bühnenfläche zu begeben und steht dort eine ganze Weile herum - freudig erregt hab ich zwei Köpfe Broccoli auf einer Stufe entdeckt und mich gefragt, ob wir jetzt die Schafe sind und das Zeug essen müssen, ähnlich im Zoo, wo man sich fragen kann, wer eigentlich hinter den Gitterstäben lebt, der Mensch oder die Tiere. Ein kleiner Mann mischt sich unter die Leute, artikuliert seltsam, begrüßt einige mit einer Umarmung. Der Tänzer Juri Riverato leidet unter Dystonie, einer neurologisch bedingten Bewegungsstörung mit Verkrampfungen und Fehlhaltungen, die vom Betroffenen nicht unterdrückt werden können. Mit einer Stange (Gitterstab?) werden wir auf unsere Plätze geschickt. Was dann kommt, ist schwer zu beschreiben, der Tänzer lässt alle Unzulänglichkeiten seiner Motorik zu, zeigt seine Einsamkeit, bestaunt sich selbst im Spiegel, zeigt seine Wut und öffnet die Tiefen seiner Seele. Laut Programmheft erscheint er als Hirtengott Pan aus der griechischen Mythologie in Gestalt eines Mischwesens aus dem Oberkörper eines Menschen und dem Unterkörper eines Ziegenbocks. An der Stelle kommt doch noch mein Broccoli zum Einsatz, das Tier verspeist das Grünzeug gierig und genussvoll. Faszinierend das fragende und offene Gesicht Juri Riveratos, dessen große innere Ruhe auf den Betrachter überzugehen scheint.

Angela Trautmann für radio-mensch

Die Legende vom Glück ohne Ende - kein runter kein fern am Maxim-Gorki-Theater

Es gibt Theaterabende, bei denen man lange nachdenkt. Nachdenkt, ob man überhaupt darüber berichten soll. Die "Legende vom Glück ohne Ende/kein runter kein fern" am Berliner Maxim-Gorki-Theater gehört in ihrem oberflächlichen Wirrwarr leider dazu. Bezeichnend war, dass in der Pause ein freundlicher Service-Mitarbeiter an der Eingangstür auf seinen Hinweis, dies sei erst die Pause, von fliehenden Zuschauern hörte, sie würden trotzdem gehen. Es sei ihnen zu konfus und zu langweilig. Immerhin erzählt zumindest die Ankündigung des Theaters, worum es in den beiden Prosatexten von Ulrich Plenzdorf, die als Motive für diesen Abend herhalten mussten, geht. Man kann nur hoffen, dass
Besucher, denen die Originale nicht bekannt sind, so wenigsten ein paar Dinge begreifen konnten. Es erwartet ja niemand, dass z.B. Szenen aus "Paul und Paula", dem Film, einfach auf die Bühne übertragen werden. Aber wenn szenisch etwas passiert, möchte man doch wenigstens halbwegs begreifen, warum.

Bei Robert Borgmann als Einrichter der Bühnenfassung und Regisseur hat man ständig den Eindruck, dass er Assoziationen, die ihm beim Lesen der Texte gekommen sind, ungefiltert auf die Bühne transportiert. Der schlichte weiße Raum (Susanne Münzer) verspricht zunächst eine Konzentration, die aber bald schon durch Materialschlachten mit umherfliegenden Aktenordnern, Gerümpel aus dem Bühnenhimmel, mühsam entfernte Seitenwände, damit sich die Bühne drehen kann und sonstige Überfrachtungen zerstört wird.

Konzentriert ist eigentlich nur der eingeschobene Monolog "kein runter kein fern" in einem furiosen Solo von Albrecht Abraham Schuch. Wie er die Geschichte dieses "zurückgebliebenen" Sohnes im DDR-Alltag lebendig werden lässt, ist das einzige, das sich an diesem Theaterabend lohnt.

Es ist ja durchaus liebenswert, wie Mitglieder der Seniorentheatergruppe "Golden Gorkis" als strickende Nachbarinnen den Abend als Erzählerinnen eröffnen, aber es bleibt eben bei brav abgelieferten Text-Informationen und trägt als roter Faden nicht.

Richtig ärgerlich dagegen ist es, wenn ein Bär mit rotem Umhang und Megaphon die wichtigen Sätze des Professors, der Paula vor einer neuen Schwangerschaft warnt, spricht. Paula (Julischka Eichel) sitzt dabei zwar an der Rückwand, ist aber durchaus für jeden Zuschauer auch mit der kleinsten Regung im Gesicht gut zu sehen. Die Verdopplung per Video-Kamera bringt also nichts außer dem Effekt, dass die Projektion nicht 100% synchron ist. Das ist also nicht nur überflüssig, sondern auch noch dilettantisch.

Ich kann ja verstehen, dass ein junger Regisseur sich mit allem, was man ihm zur Verfügung stellt, kreativ austoben will. Es gibt doch aber auch eine Theaterleitung und einen stückführenden Dramaturgen, die bei so einem Desaster die Notbremse ziehen könnten. Die geflüchteten Zuschauer werden es sich nämlich wahrscheinlich zweimal überlegen, ob sie dieses Theater wieder besuchen und das darf niemandem egal sein.

Rainer Gerlach für radio-mensch

Tape in den Kammerspielen des Deutschen Theaters

Eigentlich war es ein schöner Premierenabend in den Kammerspielen des Deutschen Theaters. In Stephen Belbers glänzend gebautem Dialogstück "Tape" treffen sich zwei ehemalige Schulkameraden in einem Hotelzimmer. Der eine, Jon, ist angereist, um seinen Film auf einem Festival zu präsentieren. Der andere, Vince, ein Feuerwehrmann und Drogendealer ist gekommen, um die Wahrheit über das zu erfahren, was vor 10 Jahren mit seiner Ex-Freundin Amy auf einer Highschoolparty passiert ist. Er treibt Jon soweit in die Enge, dass der zugibt, es sei Gewalt im Spiel gewesen. Nun soll er sich bei dem vermeintlichen Opfer entschuldigen. Aber als Amy auftaucht, bestreitet sie,
dass es eine Vergewaltigung war. Und es bleibt offen, wessen Sicht stimmt. Denn selbst der fulminante Ausbruch Amys, bei dem man glauben kann, dass wirklich ein Verbrechen passiert ist, wird sofort mit einem "War es das, was du hören wolltest?" gebrochen.

Sollte sie damals ein Opfer gewesen sein, hier ist sie die Siegerin. All das ist von Stefan Pucher spannend inszeniert, mit schönen, klaren Arrangements und geschliffenen Dialogen. Herrlich, wie Bernd Moss als Jon sich nach anfänglicher eleganter Selbstsicherheit immer mehr windet; wie Felix Goeser als Vince in seiner - auch selbstquälerischen - Wahrheitssuche eine ungeheure Naivität hat und Nina Hoss, dieses Mal schwarzhaarig, als Amy bei aller Souveränität Verletzbarkeit durchschimmern lässt. Warum war es nun aber für mich nur "eigentlich" ein schöner Abend? Weil Stefan Pucher entweder sich und seinen Schauspielern nicht genug vertraut hat, oder einfach Angst hatte, man könne ihn für einen altmodischen Regisseur halten. So wurde ich immer wieder aus dem spannenden Schlagabtausch gerissen, weil ein dienstbarer Geist durch die Szene huschte, um Livevideo-Kameras zu bedienen, deren projizierte Bilder absolut überflüssig und eher störend waren, da sie nur optisch, nicht inhaltlich andere Blickwinkel boten.

Dem Einfall mit den Kameras ist es wahrscheinlich auch geschuldet, dass das Hotelzimmer der Bühnenbildner Nikolaus Frinke und Stefan Pucher wie eine Studio- Dekoration aussieht. Ach ja - und auch um den nötigen Platz zu haben, dass ein Schlagzeug hereingefahren werden kann, denn Songs gab es natürlich auch. Und die Darsteller sangen nicht nur selbst, sondern spielten auch die Instrumente. Das klang zwar gut, wirkte auf mich aber letztlich auch nur aufgepfropft. Ein Glück, dass Stefan Pucher und sein Ensemble das eigentliche Stück so interessant auf die Bühne gebracht haben, dass die unnötigen Zutaten es nicht verschütten konnten.
Rainer Gerlach für radio-mensch

Eye of the Storm am Hans-Otto-Theater Potsdam

Ich bin sicher, Shakespeare hätte seine Freude an dem gehabt, was in der Reithalle des Hans-Otto-Theater für ein Publikum 13 mit "Eye of the Storm" nach Motiven seines "Sturm"-Dramas eine phantasievolle gute Stunde lang über die Bühne gegangen ist. Das Stück von Charles Way (Übersetzung Uwe Dethier) stellt zwei Handlungsstränge in den Vordergrund: Der eine ist der von Miranda (Friederike Walke), die durch ihren von der Welt und eigener Schuld verbitterten Vater auf seiner Insel vor jedem anderen Leben beschützt werden soll. Sie begehrt auf und ist dadurch Schuld am Sturm, der für ein großes Chaos sorgt. Der andere ist
die unglückliche erste große Liebe von Stefanie (Svenja Wasser) zu Trinculo (Florian Lenz), der sie scheinbar nur benutzt hat, um vor seinen Freunden anzugeben und die jetzt erleben muss, dass er und Miranda sich verlieben. Es war eine Freude zu sehen, wie ehrlich und klar die Vorgänge gespielt wurden, nicht zuletzt auch von Sabine Scholze als geknechtetem Ariel. Da mag es der Premierenaufregung geschuldet sein, dass es mir manchmal ein bisschen zu schnell über die Brüche hinweg ging.

Hätte z.B. die Verblüffung über die Ohrfeige nicht stärker ausgespielt sein müssen? Aber es wäre ungerecht, sich hier an solchen Kleinigkeiten aufzuhängen. Ein bisschen bedauert habe ich nur, dass Jörg Seyers Prospero in seiner Starrsinnigkeit recht einseitig blieb. Die Liebe zur Tochter, die ja sein Hauptgrund ist, nicht loslassen zu können, wurde dadurch für mich nicht spürbar. Es ist natürlich richtig, dass man Partei für den berechtigten Freiheitsdrang der Tochter bezieht, aber wenn der jugendliche Zuschauer auch den Vater begreifen, vielleicht sogar ein bisschen Verständnis entwickeln kann, würde das sicher nicht schaden. Übrigens finde ich, das Stück sollte durchaus nicht nur von jungen Zuschauern besucht werden. Wenn die ihre Eltern mitbringen (oder getrennt hinschicken), dürfte es zu Hause genug Gesprächsstoff geben. Aber auch Nicht-Eltern kommen voll auf ihre Kosten.

Die Bühne von Eva-Maria Westerveld mit dem großen Felsen-Baum vor einem sich farblich immer wieder verändernden Rundhorizont und den unzähligen Papierstapeln, aus denen sehr plastisch ein Sturm entsteht, hatte auf mich eine schöne poetische, aber unkitschige Wirkung, der die Kostüme von Grit Walther nicht nachstanden. Das Ariel-Kostüm war ja ein ganz raffinierter Einfall. Und es ist erfreulich, wenn auch ein eingesetzter Laser, oder die rote Jacke, die Miranda zu ihrem Aufbruch ins Leben anzieht, ganz modern sind - und sich trotzdem unaufdringlich einfügen. Genau wie die witzigen Rap-Einlagen (Musik Gundolf Nandico). Der Regisseur Andreas Rehschuh weiß nicht nur, wie man wirkungsvoll und temporeich Geschichten erzählt, vor allem nimmt er sein Publikum ernst. Das gilt natürlich auch für seine Mitstreiter und nicht zuletzt für eine Theaterleitung, die dem Kinder- und Jugendtheater offensichtlich einen hohen Stellenwert einräumt.
Rainer Gerlach für radio-mensch

Kollaboration im Schlossparktheater Berlin

Wie hörte ich beim Rausgehen einen Besucher des Gastspiels von "Kollaboration" im Berliner Schlossparktheater zu seinem Begleiter sagen: "Warum läuft dieses Stück nicht schon längst auf einer Berliner Bühne, warum muss da erst das "Theater im Rathaus Essen" mit seiner Tourneeproduktion kommen?" Und das war nicht abwertend gemeint, sondern voller Anerkennung für einen beeindruckenden Theaterabend. Der britische Autor Ronald Harwood, der für sein Drehbuch zu Polanskis "Der Pianist" den Oscar bekam, hat ein raffiniertes Stück über die Arbeitsfreundschaft zwischen Richard Strauß und Stefan Zweig geschrieben. Es beginnt wie Boulevard, aber zunehmend bleibt einem das Lachen im Halse stecken, wenn der
Nationalsozialismus die Zusammenarbeitet belastet. Es wird die Frage aufgeworfen, wie weit der Künstler mit der Macht kollaborieren darf.

Zum Glück wird sie nicht plakativ beantwortet, sondern überlässt es dem Zuschauer, seine Position zu finden. Die Vorlage entfaltet ihre Wirkung durch ein überzeugendes Schauspielerensemble, das sich - wie auch die Regie von Wolfgang Engel - engagiert in den Dienst des Stückes stellt. Natürlich stehen Matthias Freihof als Stefan Zweig und besonders der facettenreiche Peter Bause als Richard Strauß im Vordergrund. Aber auch die anderen Rollen sind mit Hellena Büttner, Marlen Ulonska, Thomas Martin und Wolfram Kremer hervorragend besetzt. Das ästhetische Bühnenbild von Horst Vogelgesang ist unaufdringlich und praktikabel. Langer Applaus und berechtigte Bravo-Rufe sollten eigentlich ein Garant für viele gut besuchte Vorstellungen sein. Aber leider ist das Gastspiel am Pfingstmontag schon zu Ende, vermutlich bevor die Mund- und sonstige Propaganda so richtig Wirkung zeigen kann.

Es bleibt also nur zu hoffen, dass die Inszenierung irgendwann noch einmal nach Berlin kommt. Und was die Eingangsfrage des Besuchers betrifft: Es ist kein Wunder, dass gerade immer wieder Tourneetheater solche Stückentdeckungen machen. Sind sie doch bei Strafe des Untergangs darauf angewiesen, Produktionen heraus zu bringen, die ein breites Publikum zu fesseln vermögen. Da geht es dem Hausherren des Schlossparktheaters, Dieter Hallervorden, nicht anders. Hier hat er wieder einmal den richtigen Riecher gehabt.
Rainer Gerlach für radio-mensch
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